Verein zur Hilfe seelisch Erkrankter im Emsland e.V.

30 Jahre Lotse e.V. - Die Teestuben


von Jürgen Eden

Teestuben von Lotse e. V.

Trotz seelischer Erkrankungen Gemeinschaft (er)leben

Lingen. Runter vom Sofa, raus unter Leute: Dieser oft leicht daher gesagte Leitsatz hat für Menschen mit seelischen Erkrankungen schon fast eine therapeutische Bedeutung. Denn die Mobilisierung zu gemeinsamen Aktivitäten und Gesprächen ist ein zentraler Ansatz des Vereins Lotse e. V. Daher setzte Lotse von Anfang an auch auf niedrigschwellige Hilfen wie den Teestuben in Meppen, Lingen und Papenburg. Hier geben wir einige Einblicke in ein Angebot am südlichsten Standort des Vereins.

Es ist Dienstagnachmittag. Eine Gruppe von zehn bis zwölf Menschen sitzt am Tisch, trinkt Tee oder Wasser. Maria* kommt aus dem Küchenbereich und setzt sich neben ihren Freund Wolfgang*. Beide betreuen die Teestube. Es ist der Ort, an dem sie sich vor einigen Jahren auch kennengelernt hatten. Denn beide sind seelisch erkrankt. Mit ihrer Unterstützung ist es möglich, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen, aber auch Angehörige und Interessierte miteinander ins Gespräch kommen. „Für viele ist das ein wichtiger Anlaufpunkt. Hier können die Gäste während der Gespräche und Aktivitäten in der Gemeinschaft lernen, den Alltag besser zu bewältigen und so zu sein, wie sie sind“, erklärt Anita Becker, Geschäftsführerin von Lotse e.V. Getragen werden die Aktivitäten der Teestuben nach Frau Beckers Worten in der Regel von den Gästen.

Es herrscht für einen längeren Moment Stille. „Normalerweise ist hier doch etwas mehr los, aber Einige sind heute zuhause geblieben, als sie hörten, dass ein Pressevertreter kommt“, sagt Frau Becker. Nicht jeder wolle in einer Region in der Zeitung stehen, wo fast jeder jeden kennt. Ganz allmählich baut sich doch ein Gespräch auf, denn das Thema Fußball bestimmt trotz des frühen Abschieds der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft auch die Talks in der Teestube. Gemeinsam hatten sie sich die Begegnung Schweden gegen die Schweiz und damit den Einzug der Skandinavier ins Viertelfinale angeschaut. „Hier ist eigentlich immer was los und wir planen auch gemeinsame Aktivitäten“, so Maria* weiter. Sie erinnert sich an so manche Minigolfturniere, Grillabende, ein gemeinsames Picknick oder Raclette-Essen. „Einige legen auch schon mal Hand an, wenn zum Beispiel der Fahrradparkplatz neu gepflastert werden muss“, ergänzt sie. Ihr Freund Wolfgang* kümmert sich gegen eine kleine Bezahlung durch den Verein sechs Stunden die Woche um Haus und Homepage des Vereins. Das ist nach seinen Worten ein für ihn überschaubarer Rahmen. „Unsere Gästestruktur hat sich verändert“, wirft Hinrich* in die Runde. Seit 1995 genießt er die nach eigenen Worten, lockere Gesprächsatmosphäre. Früher seien es eher etwas ältere Gäste gewesen, so um die 40 Jahre. Heute hingegen nehmen nach seinen Worten auch 20-jährige in der Runde Platz. Einige bleiben auf´n Kaffee oder einen Tee für etwa 30 Minuten um einen Smaltalk zu halten. Andere genießen die lockere Runde von 15 bis 18 Uhr im Ganzen. Zu den „alten Hasen“ gehört auch Stefan Kewe, der ebenfalls seit 1994 von Lotse betreut wird. Als Betroffener wirkt er im Vereinsvorstand auch an der Gesamtkonzeption und Ausrichtung aller Bereiche von Lotse mit. „Hier im Cafe geht es auf den ersten Blick nicht sofort um Krankheiten. Aber jeder kann in den Gesprächen viele Tipps über Hilfen, Angebote und Zuständigkeiten mitnehmen“, sagt Herr Kewe, der früher als Postbeamter tätig war. Doch irgendwann ging es aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr. Seit mehr als 15 Jahren betätigt er sich als Leiter von Schach-AG´s mit zehn Wochenstunden an mehreren Schulen.

Leben in die Runde bringt auch die 27-jährige Marina*, die bei einem Gebäudeservice arbeitet. Sie erzählt von ihrem Spagat zwischen Beruf und Krankheit. Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen unterfordert sie. Der Außenarbeitsplatz im Gebäudeservice ist dass, was sie will. Aber wenn es zu viel wird, droht eine Überforderung. „Das merke ich aber auch nicht immer sofort“, ergänzt sie. Nicht jeder Kunde habe für ihre Situation Verständnis. Und sie berichtet über ihre Erfahrungen mit dem Finden von bezahlbarem Wohnraum und trifft damit auch den Nerv in der Runde. Denn viele von ihnen haben Probleme, eine bezahlbare Wohnung in zentraler Lage zu finden, um nicht auf ein Auto angewiesen zu sein. „Es haben viele Vermieter Vorurteile, dass die Wohnungen vermüllt werden, Menschen mit psychischen Erkrankungen vielleicht schreien oder nicht zahlen“, meint Herr Kewe. Maria hat bereits die Tassen und Gläser in die Spülmaschine verfrachtet und holt noch den Zucker und die Milch vom Tisch. Dann kramt sie nach ihren Schlüsseln. Alle stehen auf und verabschieden sich. „Bis zum nächsten Mal, vielleicht am Dienstag, Freitag oder Sonntag hier in Lingen“, sagt sie.

Zur Sache: Die Teestuben gehören zu den Angeboten der ersten Stunde des Vereins Lotse e. V. An den Standorten Lingen, Meppen und Papenburg bietet der Verein mit den Teestuben Räume für den Austausch. Hier kann jeder so sein wie er ist und Gemeinschaft erleben und erproben. Die Türen dieses niedrigschwelligen Angebotes stehen allen Betroffenen, Angehörigen und Interessierten offen. In erster Linie sind die Teestuben ein Ort der Begegnung, des Gesprächs und der gemeinsam Freizeitgestaltung. Abhängig von den Wünschen der Besucher werden regelmäßige Aktivitäten und Gruppenveranstaltungen angeboten. Kreative Angebote, offenes Frühstück, gemeinsames Kochen oder sportliche Aktivitäten sind gut besuchte Veranstaltungen. Hier begegnen sich Menschen mit und ohne psychischer Erkrankung, die ein gemeinsames Interesse verbindet. Das Prinzip der Teestuben beruht auf das Engagement aller Teilnehmer und wird vom Verein Lotse fachlich begleitet.

*Namen geändert